Sommer 2020 - Urlaub wie damals?

Es ist nichts Neues, wenn ich erwähne, dass der weltweite Tourismus im Allgemeinen aber auch der Tourismus in Österreich vor besonderen Herausforderungen steht. Kaum jemand kann seriös einschätzen, wie sich der Tourismus in Österreich im Sommer 2020 entwickeln wird. Fragen tauchen auf: Werden Gäste aus dem Ausland nach Österreich einreisen dürfen? Werden die ÖsterreicherInnen Geld für Urlaub zur Verfügung haben? Werden die Beherbergungsbetriebe die Krise überleben? Fragen über Fragen.

 

Über all diesen Fragen steht für mich aber die Grundsatzentscheidung der österreichischen Regierung: Wie werden die Restriktionen in Zukunft aussehen? Davon wird vermutlich abhängen, wie und wo wir den Sommer 2020 verbringen können bzw. dürfen. In den eigenen vier Wänden, am Badesee, am Berg oder am Meer. Letzteres ist für mich das unwahrscheinlichste Szenario. Die folgenden Ausführungen werden deshalb eine Kombination aus Einschätzungen und mitunter auch Handlungsempfehlungen sein. 

 

Das größte Problem, nicht nur für den Tourismus, ist die Unsicherheit. Viele meiner KundInnen und BranchenkollegInnen sagen zu mir: „Wenn wir doch bloß wüssten, wann es wieder losgehen wird!“ Neben den finanziellen Herausforderungen, die für zahlreiche Hotels und Gastronomen kaum mehr zu stemmen sind, ist es die Planungsunsicherheit, die zermürbt und sehr viel Ungewissheit mit sich bringt. In meinen Augen darf man den Tourismus im Gesamten nicht über einen Kamm scheren. Verlierer werden alle sein, das ist offensichtlich. Aber ich vermute, dass manche mehr und andere weniger verlieren werden. Getreu dem Spruch „Unter den Blinden ist der Einäugige König“ stellt sich für mich die Frage, wer die „Gewinner“ in der Krise sein werden?

 

Reisefreiheit & Grenzschließungen 

Ein wesentlicher Faktor wird die Reisefreiheit bzw. die Schließung oder Wiederöffnung von Grenzen sein. Wenn wir einen Blick auf die Nächtigungszahlen aus dem Jahr 2019 werfen, zeigt sich, dass von den insgesamt rund 79 Mio. Nächtigungen in Österreich etwa 23,3 Mio auf Inländer, 29,5 Mio auf Deutsche und 2,7 Mio auf Schweizer entfallen. Die DACH-Region produziert somit exakt 70 % der Gesamtnächtigungen in Österreich. Der Anteil der Inlandstouristen (mit Nächtigung) beträgt 30 %. Ja, wir werden vermutlich mehr Urlaub im eigenen Land machen, allerdings ist unter diesem Gesichtspunkt eine Kompensation der Nächtigungen aus Deutschland unmöglich. Hier also meine erste Bitte bzw. Empfehlung an die Regierung: 

„Bitte einigen Sie sich über eine Öffnung der Grenzen innerhalb der DACH-Region!“

Vor allem für den Tourismus in Westösterreich sehe ich diese Maßnahme als besonders wichtig. So können wir vielleicht gepaart mit einem verstärkten Inlandstourismus, in diesen drei Ländern, die fehlenden Nächtigungen anderer Nationen etwas abfedern. Die Grenzöffnung hätte in meinen Augen auch einen wichtigen psychologischen Effekt in Bezug auf „du kannst dich wieder relativ uneingeschränkt bewegen“ und würde insgesamt die Reiselust vermutlich positiv befeuern. Voraussetzung für solch eine Öffnung ist ein einheitliches Vorgehen in Bezug auf Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Dies wäre auch für viele andere Branchen eine positive Signalwirkung.

 

Nicht alle Destinationen sind gleich!

Wie bereits anfänglich ausgeführt, sehe ich große Unterschiede im Tourismus. Die größten Verlierer werden vermutlich der Städtetourismus sowie jene Destinationen mit hohem Internationalisierungsgrad sein. Hierzu zählen für mich zum Beispiel Destinationen wie Hallstatt, die vom Over-Tourism in einen nahezu No-Tourism katapultiert werden. Oder auch Zell am See mit ihrem sehr hohen Anteil an arabischen Gästen. Tirol würde ich ohne Grenzöffnung innerhalb der DACH-Region global zu den großen Verlierern im Sommertourismus zählen. Auf die individuelle Gästestruktur in Hotels gehe ich weiter unten noch ein. 

Mögliche „Gewinner“, sofern man in dieser Zeit von Gewinnern sprechen kann, könnten für mich die Kärntner Seen, als Ersatz für einen Badeurlaub an der Adria, sein. Oder auch der Donau-Radweg könnte profitieren, da man sich hier einerseits tagsüber alleine mit Abstand auf seinem Rad bewegt und abends in tendenziell von der Größe überschaubaren Unterkünften mit weniger Gästekontakt übernachtet. „Gewinner“ können auch Destinationen für TagestouristInnen sein. Man nächtigt zu Hause und unternimmt tageweise Ausflüge. Davon könnte auch die Ausflugsgastronomie profitieren. Hier werden möglicherweise die Hygieneauflagen eine Herausforderung.

 

Nicht alle Unterkünfte sind gleich!

Auch bei den Unterkünften sehe ich große Unterschiede. Chalets, Appartements und Ferienwohnungen werden vermutlich die Nase vorne haben. Man hat viel Privatsphäre und der (Hygiene-)Abstand wird gewahrt. Außerdem wird es eine Urlaubsform sein, die sich viele unter dem Gesichtspunkt eines geringeren Einkommens leisten können. An dieser Stelle sei auch noch Camping erwähnt. Ob im eigenen Wohnwagen oder im Mobilhome – es sprechen zahlreiche Faktoren für eine rasche Öffnung dieser Unterkunftsform. Ein wichtiger Faktor wird hier die Hygiene in den Waschräumlichkeiten sein. 

Hotels werden sehr gefordert sein. Nicht nur aus möglicher rechtlicher Sicht, die Regierung wird vermutlich Auflagen hinsichtlich Mindestabstand oder Maximalbelegung erlassen, sondern auch aus psychologischer Sicht. Das Gästeverhalten wird sich ändern. Man wird sich Abstand wünschen, um sich selbst schützen zu können. Wellnessbereiche oder Thermen, in denen sich Liege an Liege reiht, werden, wenn nicht ohnedies behördlich verordnet, gut daran tun mehr Platz durch das Entfernen von Liegen zu schaffen. 

 

Nicht alle Gäste sind gleich!

Die Unterschiede am Arbeitsmarkt sind unübersehbar. Manche Menschen arbeiten mehr als je zuvor. Diese Personen werden sich nach Urlaub sehnen und auch über das nötige Budget verfügen. Viele sind in Kurzarbeit im Homeoffice. Deren Konsumverhalten hat sich, unter anderem auf Grund der Ausgangsbeschränkungen, deutlich geändert. Vielen bleibt am Monatsende mehr übrig. Auch sie werden vermutlich über ein Urlaubsbudget verfügen. Leider gibt es auch am Arbeitsmarkt Verlierer und zwar jene, die auf Grund der Krise ihren Job verloren haben. Zu guter Letzt trifft es auch viele UnternehmerInnen schwer. Umsätze brechen weg und ganze Geschäftsmodelle sind zu durchleuchten und hinterfragen.

 

Bei spezieller Betrachtung der Hotels, wobei man dieses Gedankenexperiment auf andere Unterkunftsarten ebenso übertragen könnte, sehe ich große Unterschiede in der Auswirkung der Krise auf Grund der Gästestruktur. Jene Hotels mit viel regionalen (Stamm-)Gästen, wie zum Beispiel die Wellnesshotels im Mühl- & Waldviertel, werden relativ rasch wieder Fuß fassen. Hotels mit einem hohen Inländeranteil, werden ebenfalls etwas weniger Schaden erleiden. Dies bestätigen mir übrigens zahlreiche Kunden und BranchenkollegInnen aus der Steiermark, bei denen jetzt schon wieder für den Sommer gebucht wird. Diese Buchungen erfolgen oft aus Solidarität der Stammgäste.

Ein großer Unsicherheitsfaktor ist, neben der Erlaubnis zur allgemeinen Öffnung, die Hygienevorschrift. Hier folgt die zweite Bitte an die Regierung:

„Bitte auferlegen Sie der Hotellerie (und Gastronomie) 

Hygienemaßnahmen mit Augenmaß!“

Gemeinsam können wir so den Spagat zwischen Notwendigkeit und Realisierbarkeit im operativen Geschäft (auch unter Bedachtnahme der Kosten) schaffen.

 

Ein Apell bzw. Bitte folgt hier auch an die Hotellerie:

„Bitte zerstören wir uns nicht den Markt mit Dumpingpreisen!“

Ich weiß, einige stehen mit dem Rücken zur Wand und sehnen sich nach Umsätzen. Bitte beachten Sie dabei aber auch Ihren notwendigen Deckungsbeitrag, um wirtschaftlich mittel- und langfristig überleben zu können.

Abschließend habe ich auch noch eine Bitte an die Gäste:

„Bitte wertschätzen Sie das Angebot der Hotels und Gastronomie. 

Qualität bei Produkt und Dienstleistung hat ihren Preis!“

 

An dieser Stelle möchte ich noch ein paar Gedanken an die Branche weitergeben. Manche Gäste könnten möglicherweise über den Nostalgie-Faktor zur Buchung animiert werden - unter dem Motto „Urlaub wie damals“. Erzählen Sie Geschichten und machen Sie Lust auf spannenden und gleichzeitig entspannten Österreich-Urlaub am See oder in der Natur. An Erlebnisreichtum mangelt es Österreich sicher nicht. So kann es auch gelingen, Gäste für einen längeren Aufenthalt zu begeistern und so die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von Sommergästen zu erhöhen. In diesem Zusammenhang sollte die Kommunikationsstrategie sowohl analog als auch digital durchleuchtet werden.

Und bitte kümmern Sie sich auch um Ihre MitarbeiterInnen. Sie sind selbst von der Krise betroffen und brauchen Unterstützung. Empathie wirkt hier Wunder! 

 

Fazit

Vermutlich gibt es noch viele individuelle Betriebsformen, die man gesondert betrachten und dafür eine Expertise erstellen könnte. Wie werden Geschäftsreisen in Zukunft aussehen oder wird es vermehrt Videokonferenzen geben? Wie verändert sich das Buchungsverhalten der Gäste – wird mehr direkt oder doch weiterhin viel über OTAs gebucht? Wie reisen die Menschen an – nimmt man vermehrt das eigene Auto in Anspruch, weil man überfüllte Züge meiden möchte? Selbstverständlich könnte man noch die betriebswirtschaftliche Situation im Detail betrachten – kann ich mir Kurzarbeit für meine MitarbeiterInnen leisten und welches Risiko hinsichtlich Arbeitskräftemangel beim Restart gehe ich bei Kündigungen ein? 

Mein Anspruch war ein globaler Blick mit Fokus auf den Sommertourismus. Gleichzeitig soll es ein Gedankenanstoß sein, die eigene betriebliche Situation zu durchleuchten und mögliche Handlungsnotwendigkeiten frühzeitig zu erkennen. 

Außerdem möchte ich anmerken, dass ich bewusst nicht auf die Richtigkeit und/oder Treffgenauigkeit der Regierungs- und Unterstützungsmaßnahmen eingegangen bin, da diese an anderer Stelle vielfach diskutiert wurden und werden. 

Abschließend wünsche ich uns allen viel Gesundheit und die notwendige Demut. Verlassen wir die anfängliche Schockstarre. Blicken wir nach vorne. Versuchen wir Positives aus der Krise zu gewinnen. Ja, das fällt schwer. Aber ich bin überzeugt, dass die Kreativität innerhalb der Branche uns neue, spannende, nachhaltige und erfolgreiche Wege eröffnen wird - lassen Sie es uns versuchen! 

Alles Gute, Ihr Gerald Aigmüller

 

Länge: 10.297 Zeichen (inkl. Leerzeichen)

Autor: Mag. Gerald Aigmüller

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